Am 8. Juli 1928 wurde in Friedrichshafen nach nur 21-monatiger Bauzeit das bis heute erfolgreichste Langstrecken-Luftschiff der Welt auf den Namen Graf Zeppelin getauft. Zwei Monate später stellte Kommandant Hugo Eckener die Graf Zeppelin für die Deutsche Luftfahrt AG (Delag) in den Dienst. Die große Zeit des Reisens mit dem Zeppelin konnte beginnen.
Delag – die erste Luftfahrtgesellschaft der Welt
Die Delag beförderte von 1909 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit vier Zeppelinen auf mehreren innerdeutschen Strecken 35.000 Personen – komfortabel und immer unfallfrei. Doch zurück ins Jahr 1928:
Am Dienstag, dem 16. Oktober 1928, herrschte in New York der Ausnahmezustand. Am Vortag war die Graf Zeppelin in Lakehurst, rund 100 km südwestlich von New York City, gelandet. Hinter ihr lag unter der Führung von Hugo Eckener eine fünftägige Fahrt von Friedrichshafen über Marseille, Gibraltar, Madeira und die Bermudas nach Nordamerika, die nicht ganz problemlos verlief.
Die ganze Welt sorgt sich um die Graf Zeppelin
Etwa 500 km vor der Küste drohte das Abenteuer sogar in einer Katastrophe zu enden: Per Funkspruch ging die Nachricht um die Welt, dass ein schwerer Regensturm ein Leck in die Tuchbespannung gerissen und das Schiff manövrierunfähig gemacht habe. Bei heftigem Wind und unter Lebensgefahr gelang es der Reparaturmannschaft, die Hülle von außen zu flicken – nur wenige Minuten vor einem drohenden Aufprall auf dem Meer. Die zwanzig Passagiere bekamen einen gehörigen Schreck, als das Schiff wieder steil nach oben schoss und ihr Frühstück durch die Luft flog. Sie nahmen das Ganze aber ziemlich gelassen. Wie ernst die Situation gewesen ist, hatten sie nicht geahnt. Die letzten Stunden vor der Landung verbrachten alle in gelöster Stimmung – Amerika! Wir haben es geschafft!
Der Empfang für Hugo Eckener und seine Mannschaft in New York am nächsten Nachmittag war unbeschreiblich. Zunächst die heulenden Sirenen am Hafen, dann der Triumphzug in einer Autokolonne über den Broadway, angeführt von einem Ehrenbataillon der Army in Marschformation. Aus den Wolkenkratzern ergoss sich ein Schneegestöber aus Konfetti und Papierschlangen. Die Begeisterung kannte kaum Grenzen.
Der erste blinde Passagier in der Geschichte der Luftfahrt
Vierzehn Tage später trat die Graf Zeppelin die Rückreise an. 24 Passagiere waren an Bord – glaubte man zumindest. Denn am Morgen nach dem Start entdeckte die Besatzung einen verängstigten jungen Mann, der sich mit einem Postsack auf das Schiff geschlichen hatte. Seine „Strafe“: Geschirr spülen in der Bordküche.
Die Graf Zeppelin in Budapest (Wikimedia Commons, Fortepan / Szinnay Gábor)
Die Landung in Friedrichshafen wurde von Tausenden jubelnder Zuschauer beobachtet. Sie feierten das erfolgreiche Ende einer mutigen Mission – der ersten Atlantiküberquerung eines Luftschiffs in beide Richtungen. Sogar einen bösen Orkan bei Neufundland hatte die Graf Zeppelin auf der Rückfahrt unbeschadet überstanden. Der Beweis war damit erbracht, dass mit Luftschiffen ein regelmäßiger Passagierdienst im Fernverkehr möglich sei. Flugzeuge kamen dafür noch lange nicht in Frage. Gerade einmal siebzehn Monate zuvor, im Mai 1927, hatte Charles Lindbergh in seiner einmotorigen Spirit of St. Louis im Alleinflug den Atlantik überquert.
Um das Interesse für die Luftschifffahrt weiter anzuheizen, beabsichtigte Eckener mit der Graf Zeppelin mehrere spektakuläre Fahrten mit Journalisten, Politikern und zahlungskräftigen Passagieren durchzuführen. Die erste dieser Werbetouren ging in den Nahen Osten. Am Morgen des 25. März 1929 startete die Graf Zeppelin mit 20 Passagieren von Friedrichshafen aus zu ihrer viertägigen Orientfahrt.
Im Speisesaal der Graf Zeppelin (Wikimedia Commons, Bundesarchiv)
An Bord der Graf Zeppelin
Der Weg ins Innere der Passagiergondel führte über ein paar Stufen einer Gangway. Durch die Eingangstür hinter der Gondelspitze mit der Kommandobrücke betraten die Fahrgäste den Speisesaal mit zwei bogenförmigen Schiebefenstern auf jeder Seite. Er bot Platz für zwanzig Personen, die an vier einklappbaren Tischen bequem sitzen konnten. Zwischen den Mahlzeiten wurde der Speiseraum als Salon genutzt.
Vom Aufenthalts- und Speiseraum gelangten die Passagiere zu den zehn Doppelkabinen, die sich rechts und links von einem Mittelgang befanden. Die Passagiere schliefen in Etagenbetten. Alle Kabinen hatten ein nach oben aufklappbares Fenster, unter dem ein kleiner Tisch angebracht war. Kleidung und Handgepäck ließen sich in einem schmalen Wandschrank verstauen. Hinter den Kabinen lagen die Toiletten und Waschräume. Hier, am Ende der Gondel, befand sich der Zugang zum Rumpf des Zeppelins, wo die vierzigköpfige Besatzung untergebracht war.
Die Graf Zeppelin auf Rekordfahrt um die Welt
Höhepunkt der Werbetouren sollte eine Reise um die Welt sein. Am Morgen des 15. Augusts 1929 startete die Graf Zeppelin in Friedrichshafen, um von dort aus über Berlin und Zentralrussland nach Tokio und weiter über den Pazifik nach San Francisco, Los Angeles, New York und Lakehurst zu fahren. Danach ging es zurück nach Deutschland. Inklusive der Zwischenstopps dauerte die Weltumrundung 21 Tage.
In der Zeit danach führte die Graf Zeppelin neben Fahrten innerhalb Europas Hunderte Tagestouren in die Schweiz durch. Trotz des hohen Preises und der desolaten wirtschaftlichen Situation Deutschlands waren diese Ausflüge immer ausgebucht.
Eine Frage blieb nach der Weltfahrt noch offen: Wie würde sich die Graf Zeppelin in den Tropen verhalten, bei schweren Stürmen und extremer Hitze? Denn der Entschluss stand fest: Spätestens Ende 1931 sollte der planmäßige Passagierdienst nach Südamerika aufgenommen werden.
Die erste Fahrt der Graf Zeppelin nach Südamerika
Am 18. Mai 1930 startete die Graf Zeppelin zu einer Testfahrt nach Rio de Janeiro. Bis Recife im brasilianischen Bundesstaat Pernambuco dauerte die Fahrt mit einer Zwischenlandung in Sevilla rund drei Tage. Für die 2.000 km von Recife bis zum Landeplatz in Rio de Janeiro benötigte die Graf Zeppelin noch einmal einen Tag. Alle Wetter- und Windprobleme konnten nahezu problemlos bewältigt werden. Dem Linienverkehr nach Brasilien stand nun nichts mehr im Wege.
Am 29. August 1931 nahm die Graf Zeppelin den regulären Flugbetrieb nach Recife und Rio de Janeiro und später auch nach Buenos Aires auf. Die Zeitersparnis war beträchtlich: Ozeandampfer brauchten von Europa nach Südamerika mehr als zwei Wochen. Viele Geschäftsleute würden mit Sicherheit die neue Verbindung bevorzugen.
Die Graf Zeppelin schrieb Luftfahrtgeschichte
Der Erfolg dieser Strecke war enorm. Bis 1937 flog die Graf Zeppelin 63 Mal von Deutschland, meist mit einer Zwischenlandung in Sevilla, nach Südamerika und zurück. Ohne nennenswerte Probleme, immer vollbesetzt und zur Zufriedenheit aller Passagiere. Insgesamt legte die Graf Zeppelin von 1928 bis 1937 1,7 Millionen km zurück und überquerte 140 Mal den Atlantik nach bzw. von Nord- und Südamerika – eine einzigartige Erfolgsbilanz.
Die Hindenburg – das (Alp)-traum-Luftschiff
Hugo Eckeners Vorstellung von einem idealen Luftschiff entsprach die Graf Zeppelin noch nicht ganz. Ein größeres und komfortableres Schiff zu bauen, war aber angesichts der in Amerika und Europa herrschenden Depression kaum zu finanzieren. Es grenzt an Ironie, dass erst die Nazis Eckeners Traum verwirklichen halfen. 1934/35 stellte die Regierung über 11 Millionen Mark für die Fertigstellung des schon lange zuvor projektierten neuen Zeppelins LZ 129 zur Verfügung. Eine bittere Pille, die der kosmopolitische Nazigegner Eckener schlucken musste, um die Fortführung des internationalen Luftschiffverkehrs sicherzustellen.
Am 4. März 1936 wurde der neue Zeppelin auf den Namen des 1934 verstorbenen Reichspräsidenten Hindenburg getauft und sofort auf der fast immer ausverkauften Nordatlantikroute eingesetzt. Dass die Hindenburg am 6. Mai 1937 in Lakehurst in einem Feuersturm untergehen sollte, ahnte beim Stapellauf in Friedrichshafen niemand. Alle Experten hatten eine derartige Katastrophe trotz der Befüllung mit brennbarem Wasserstoff für ausgeschlossen gehalten.
Die Graf Zeppelin erreichte die Nachricht über das Unglück in Rio. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland stieg sie nie wieder auf. Die große Zeit der Fernreisen mit den silbernen Himmelsgiganten war vorbei.
Horst Kleinert
aus: Traumreisen mit dem Luftschiff
Aufstieg, Fall und Rückkehr der Zeppeline
Thurm Verlag, 2017